Fisch Fasch
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weil ihre Eltern an Aids gestorben sind, und die sich mit dem HIV-Erreger infizieren, weil sie sich prostituieren. Wohlhabende alte Männer erhöhen die Preise für ungeschützten Sex. Nicht zuletzt deswegen hat Sambia eine der höchsten Aids-Raten und die niedrigste Lebenserwartung der Welt. Eine Spirale aus Elend, Gewalt und Prostitution hat zur Folge, dass sich Aids in Sambias Hauptstadt Lusaka immer weiter ausbreitet Sie kommen pünktlich. Lucy, 17, mit kunstvoll geflochtenen langen Haaren, rotem Minirock und weißem Trägerhemd. Und die kurzhaarige Betty, in engen Jeans und hochhackigen Schuhen, die Ende 20 ist und viel älter aussieht. Betty ist die Wortführerin. Die zwei wollen über ihren Alltag reden, über Prostitution, Aids und Menschenhandel, im Büro einer Hilfsorganisation am Rande des Compounds.

Compounds - Armenviertel mit der Tendenz zum Slum - gibt es an den Rändern Lusakas jede Menge, ungefähr jeder fünfte der rund 10 Millionen Sambier lebt in so einer Gegend. Reisende kriegen davon meist wenig mit. Das Zentrum von Sambias Kapitale besteht aus vorwiegen zwei- bis dreistöckigen, passabel instand gehaltenen Gebäuden und erstaunlich viel Grün. Die gepflegte Atmosphäre der verglasten 20-Stock-Bürotürme um die Cairo Road wirkt wie eine Maske. Sie verbirgt eine der höchsten Aids-Raten der Welt. Nach Angaben von Unaids waren 2001 21,5 Prozent der Bevölkerung HIV-positiv, nur Botswana, Simbabwe, Swasiland, Lesotho und Namibia verzeichnen noch höhere Zahlen. DIe Immunschwäche hat die durchschnittliche Lebenserwartung auf 37 Jahre gedrückt, der niedrigste Wert aller Länder. Die Schätzungen der durch Aids zu Waisen gewordenen Minderjährigen schwanken zwischen 570.000 und 1,6 Millionen.

Etliche Unternehmen Lusakas haben mehr als die Hälfte der Belegschaft verloren und bilden mittlerweile für jede Stelle drei Kandidaten aus - die Abwesenheit vom Arbeitsplatz wegen der Teilnahme an Beerdigungen ist für viele Firmen ein immenses Problem. Dabei ist Sambia ohnehin eine der ärmsten Nationen; die Wirtschaft erholt sich nur schwer vom Niederganz des einst florierenden Kupferbergbaus. Dass die meisten Aids-Opfer qualifizierte Arbeitskräfte im besten Erwerbsalter sind, schmälert jegliche Hoffnung auf baldige Besserung. Am Ende der Spirale aus Aids, Armut und Gewalt stehen jene Frauen und Kinder, die sich prostituieren müssen, um überhaupt zu überleben.

Bevor Betty beginnt, ihre Geschichte zu erzählen, will sie ein Bier. "Ich war zehn, als mein Vater starb. Seine Familie nahm unseren ganzen Besitz. So ist es Tradition. Wir, meine Mutter und die Kinder, erbten nichts. Irgendwie versuchte meine Mutter uns durchzubringen, aber es reichte hinten und vorne nicht. Für die Schule fehlte das Geld. Oft hatten wir nicht genug zu essen. Mit 13 hatte ich das erste Mal Sex, das heißt, ich wurde von drei Typen vergewaltigt."

Als ihre Mutter krank wurde, begann Betty mit ihrer Schwester den Job als "sex worker". Von dem Geld bezahlten sie Essen, Miete und die Schulgebühren für die anderen Geschwister. Später trafen sie Mitarbeiter angeblicher Hilfsprojekte. "Sie benutzten unsere Namen und betrogen uns um das Geld. Hier hilft uns niemand. Die Männer verlangen Dinge, die wir nicht tun wollen. Sie schlagen und foltern uns. Wir haben Sex wie Tiere."

Betty umkrallt mit einer Hand die Bierflasche, die andere fuchtelt durch die Luft: "Auf der Straße neulich fand ich eine Achtjährige, die mit zwei Männern zugleich Sex hatte. Sie hatte Syphilis, ich brachte sie ins Krankenhaus. Sechs Mädchen habe ich schon dorthin gebracht. Ich sage ihnen, dass sie sterben werden, wenn sie so weiter machen. Wenn du aber einen findest, der dir 50 oder 100 Dollar anbietet, machst du alles, was er will. Dabei wissen die Mädchen genau, dass Aids tötet." Betty will noch ein Bier.

"Einmal hat mich ein Typ einfach verkauft und ich landete in Südafrika. In einer Stripshow sollte ich tanzen. Viele Mädchen hier wurden verkauft, auch nach Deutschland. Als wir ankamen, nahmen sie unsere Pässe weg, dafür brachten sie Kunden. Manchmal kamen sie zu zweit. Vom Geld sahen wir nichts. Irgendwann fanden wir einen Nigerianer, der Pässe fälschte, und kamen zurück nach Lusaka."

Tagsüber präsentiert sich das Viertel Northmead, gut zwei Kilometer von der Hauptgeschäftsmeile Cairo Road entfernt, als Einkaufszentrum mit wenigen Läden und vielen klapprigen Marktbuden. Das Angebot reicht vom zerbeulten Kochtopf über die japanische Stereoanlage bis zum säckeweise verkauften Grundnahrungsmittel Maismehl. So gut wie jede kleine und kleinste Brachfläche in der Umgebung ist ein improvisiertes Maisfeld.

Mit Einbruch der Dunkelheit wird aus der Einkaufsgegend ein Vergnügungsgebiet. Zusammengeflickte asiatische Kleinwagen, die behaupten, Taxis zu sein, suchen sich ihren Weg zwischen unzähligen Schlaglöchern. Vor den Eingängen der Bars und Diskotheken drängeln sich die Gäste. Unter den Bäumen am Straßenrand warten junge Frauen auf Kundschaft. Autos fahren im Schritttempo, halten an, Türen öffnen und schließen sich.

Straßenprostitution gibt es an vielen Ecken der Stadt, überall auch Trinkschuppen und Tanzkneipen, in denen Sex käuflich ist. Das Geschäft ist kaum organisiert und die Kundschaft reicht von armen Familienvätern bis zu "Sugardaddys", wohlhabenden alten Männern, die sich eine Schülerin oder junge Studentin als feste Mätresse halten. Sie zahlen mit Statussymbolen wie den neuesten Turnschuhen oder der Übernahme der Studiengebühren und glauben, dass die Jugend ihrer Geliebten sie vor dem Aids-Risiko schützt. Umgekehrt gilt das sicher nicht. Landesweit ist jeder fünfte Sambier HIV-positiv, in Lusaka jeder dritte, und die meisten Neuinfizierten sind Frauen. Es heißt, dass weit mehr als die Hälfte aller Mädchen hier Beziehungen zu einem "Sugardaddy" haben.

"Vor 20 Jahren gab es in Sambia keine Prostitution", behauptet Waza Kaunda, Sohn des legendären früheren Präsidenten Kenneth Kaunda und Direktor der "Children of Africa Foundation". Dann sei Aids gekommen und mit ihm der Teufelskreis. Drei Viertel der Mädchen, die sich in Lusaka prostituieren, hätten ihre Eltern durch Aids oder Malaria verloren. Früher, da habe nicht einmal das Wort "Waise" in den Bantu-Sprachen der Einheimischen existiert. Die Familien seien groß und stark gewesen, die Kinder wurden einfach aufgenommen. Das sei nun immer weniger möglich, weil die Verstädterung steige und mit ihr das Elend. "Was sollen diese Mädchen denn machen?", fragt Kaunda. Weise er sie auf die Aids-Gefahr hin, antworteten sie ihm: "Doktor, an Hunger kann ich nächste Woche sterben, an Aids erst in zehn Jahren."

Dabei sei die Prostitution nur ein Faktor. Mindestens ebenso schlimm sei die Promiskuität, ausgelebt etwa am Arbeitsplatz. Und das schlimmste steht noch bevor - laut Unaids wird die Epidemie ihren Höhepunkt frühestens 2010 erreichen. Schon heute habe fast jeder hier Verwandte durch Aids verloren. Dann holt Kaunda weit aus. Er spricht von den überhasteten Strukturanpassungsprogrammen, die Sambia von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfond 1991 aufgezwungen wurden, von der Aufhebung der Subventionen, dem Ende der Preis- und Importkontrollen, der Privatisierung staatlicher Unternehmen und davon, dass heute 80 Prozent der Sambier weniger als einen Dollar pro Tag haben.

Er fragt, warum Mercedes und BMW nicht in Lusaka investieren - schließlich sei Afrika doch ein großer Markt für deutsche Autos. Nur dass sie keiner kaufen kann, wenn alle sterben, das sieht er schon auch so. "Aids ist vielmehr als ein Entwicklungs- und Gesundheitsproblem". sagt er endlich.

In der "Alphabar" in Northmead zitieren Lichtorgel und Spiegelkugel die 70er Jahre. Entsprechend die Kleidung: Bunt, glitzernd und bei Frauen vor allem eng. vieles scheint von den Märkten zu stammen, auf denen Second-Hand-Klamotten aus Europa und den USA verkauft werden. Es ist voll. Die Frauen sind jung, meist noch Teenager, die Männer nicht viel älter. Lucy, 17, arbeitet hier und in der Umgebung.

Ihre Mutter starb, als sie 15 war, der Vater war schon lange weg. Lucy zog zu ihrer Tante, die nur bereit war, für ihre eigenen Kinder das Schulgeld zu bezahlen. Lucy kam bei einer Prostituierten unter. Irgendwann war es nicht mehr möglich, nein zu sagen. Mittlerweile wartet Lucy nachts an der Straße auf Typen. Für Sex verlangt sie umgerechnet 10 Euro, die meisten wollen nur ein Drittel zahlen. "Wenn du ihr Angebot anblehnst, schmeißen sie dich in einer üblen Gegend hinaus."

Lucy redet laut, schnell und ohne Scham. Es ist ihr Alltag, ihr Leben. Sie drängt sich an die belagerte Theke, um Bier zu holen. Schwer zu sagen, wer auf der Tanzfläche die Lust am eigenen Körper ausstellt und wer sich prostituiert. Fast jeder Blickkontakt transportiert ein Angebot. Freundliche Ablehnungen werden freundlich akzeptiert. Die "Alphabar" ist kein Bordell, eher eine Mischung aus Disco und Kontakthof.

An einer Straßenecke steht Lucys Kollegin, eine zierliche Frau um die 20. Ihr fehlt ein Auge. Ein verrückter Kunde, der auf Drogen war, habe es ihr rausgeschnitten. Sie hat überlebt. Kaum waren die Fäden gezogen, stand sie wieder hier.

Weiter geht's, ins Xenon, einen sterilen Club im 80er-Jahre-Stil. Im Vergleich zur Alphabar wirkt das Publikum wohlhabender, die Männer sind älter. Die Frauen nicht. Enige der Mädchen auf der Tanzfläche wirken keinesfalls älter als zwölf. Sue tragen hohe Stiefel, kurze Röcke, dicke Schminke und behaupten, sie seien volljährig. Jeder Gast hat mehrere Begleiterinnen, einige Mädchen lassen die Hüften kreisen.

Lucy kennt die meisten. Sie erzählt von den beiden Dicken an der Bar, die jetzt viel Geld haben, weil sie Pornos mit Hunden drehen. Sie erzählt von dem Mann, der sie schwängerte. Wie sie ihm Zwillinge gebar, für die er erst zu zahlen versprach und dann abhaute, als sie im sechsten Monat war, zurück nach Norwegen - ohne Adresse. Jetzt bezahle sie jemanden, der auf die Kinder aufpasst. Beim Abschied auf der Straße weist Lucy auf eine Polizeistation gegenüber. Prostitution ist verboten in Sambia. Die Polizei verfolge sie in Zivilautos. "Webb sie dich erwischen, verlangen sie 10.000 Kwacha (etwa 2 Euro). Wenn du die nicht hast, wollen sie Sex. Wenn du nicht mitmachst, sperren sie dich ein und am nächsten Tag musst du die Station putzen. Vor zwei Tagen haben sie alle meine Freundinnen gefickt. Sie nehmen nicht einmal Kondome."

Wie viele Prostituierte es tatsächlich in der Hauptstadt gibt, kann auch Stanley Charma nicht sagen. "Zehntausende bestimmt - vielleicht auch mehr als 100.000." Charma ist Leiter der Hilfsorganisation Kara Councelling, dei mit Aufklärungskampagnen und Trainigsprogrammen Aids in Lusaka bekämpft, mit Geld aus der ganzen Welt, das zudem zahlreichen Mitarbeitern die Existenz sichert. Auf den meisten der großen Geländewagen in den Straßen Lusakas klebt das Logo einer Hilfsorganisation.

In Lusaka würden die Menschen langsam beginnen, die Existenz von Aids zu akzeptieren, sagt Charma. Als offizielle todesursache würde nicht mehr so oft Malaria oder Tuberkulose angegeben, und immer weniger Menschen vermuteten hinter vorgehaltener Hand "Hexerei". Nach mehr als zwei Jahrzehnten Aids in Sambia sei das zumindest ein Anfang.


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